Serielles Sanieren: Bestandssanierung schlägt Neubau | Immobilien | Haufe

2022-10-15 03:54:16 By : Ms. Annabelle Tang

Wenn standardisierte und vorgefertigte Baukomponenten auch bei Sanierungen verwendet werden, kann das manchen Neubau überflüssig machen. Effizienzstandards lassen sich so auf den Bestand übertragen. Serielles Sanieren ist eine Methode mit großer Zukunft.

So klug das modulare Sanieren auch wäre – die Politik will erst einmal nicht mitspielen, obwohl die Methode im Koalitionsvertrag ausdrücklich erwähnt wird. Die Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) wurde zum 28.07.2022 erst einmal um fünf bis zehn Prozent für Komplettsanierungen abgesenkt.

"In Zukunft bekommt der oder die Einzelne etwas weniger an Förderung als vorher, aber dafür können viele Menschen von den Förderprogrammen profitieren. Der Effekt für Energieeinsparung und Klimaschutz liegt bei der energetischen Gebäudesanierung rund um das 4,5-Fache höher als im Neubau. Vor dem Hintergrund der haushaltspolitischen Vorgabe ist das eine gute Lösung", erklärt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Dies ist auch ein Fingerzeig, dass Sanierungen, auch komplette, von der Politik gegenüber dem Neubau bevorzugt werden – eine jahrzehntelange Forderung der nun mitregierenden Grünen. Dennoch – für die einzelne Sanierung bedeutet es erst mal weniger Geld und höhere Investitionen. Doch das sollte keinen Bauherren davon abschrecken, auch Komplettsanierungen in Angriff zu nehmen.

Allein die horrend steigenden Ener­­giekosten versprechen eine deutlich schnellere Amortisation jeglicher Energieeffizienzmaßnahmen. Dafür wurde auch 2021 das Bundesförderprogramm Serielles Sanieren aufgelegt. Es bietet unverändert hohe Zuschüsse und ist damit für serielle Pilotprojekte eine attraktive Alternative zum BEG. Das modulare oder serielle Sanieren ist eine Möglichkeit, Sanierungen etwa bei gleichartigen Wohngebäuden in Angriff zu nehmen. Vorbild ist hier das in den Niederlanden entwickelte Energiesprong-Prinzip. Die Planungsabläufe sind inhaltlich ähnlich wie beim Neubau, aber im Prozess durch digitalisiertes Aufmaß und BIM-Planung deutlich schneller.

Der 5.000 Quadratmeter umfassende Schüco Digital Hub One in Bielefeld wurde von GOLDBECK innerhalb von nur 15 Monaten saniert. Im Sinne des schonenden Ressourceneinsatzes wurden Fenster und Türen recycelt, der Bodenbelag aus alten PET-Flaschen hergestellt. Darüber hinaus wurden Büro- und Besprechungsräume mit Platten aus schnell nachwachsenden Seekiefern verkleidet.

"Bei Bestandssanierungen kommt beim modularen Sanieren die Erfassung des Bestandsgebäudes hinzu. Darüber hinaus werden gleiche Baumaterialien sowohl im Neubau als auch bei der Revitalisierung von Bestandsgebäuden eingesetzt. Und auch die Gewerke, die Technik und die Abläufe auf der Baustelle sind größtenteils ähnlich", erklärt Isabel Rütten, Produktmanagerin bei Goldbeck.

Das Energiesprong-Prinzip wird seit 2017 von der Deutschen Energie-Agentur (dena) auf dem deutschen Markt etabliert. Die Agentur selbst schätzt das Potenzial für kleinere bis mittlere Mehrfamilienhäuser der 1950er bis 1970er Jahre auf rund eine halbe Million Gebäude mit drei Millionen Wohneinheiten. Hinzu kommen Nichtwohngebäude, wie Büros und Schulen, sowie rund vier Millionen Einfamilienhäuser, die für eine serielle Sanierung geeignet sind. Derzeit befinden sich sechs Projekte mit 228 Wohnungen im Bau, 50 weitere Projekte mit insgesamt 2.221 Wohneinheiten in der Planung.

Die Möglichkeiten werden in der Branche nicht von allen so optimistisch eingeschätzt. "Für die Sanierung von Bestandsbauten ist die modulare Bauweise nur beschränkt einsetzbar. Die Eignung bleibt jedoch bestehen, wenn aufgrund der nachbarrechtlichen Situation oder der Enge der Bebauung im Umfeld die Störungen in der Nachbarschaft auf ein Minimum zu reduzieren sind", so Frank Talmon l’Armée, Vorstand beim Modulbauspezialisten SEMODU. Es sei jedoch zu beachten, dass modulares Bauen eine kritische Masse benötigt, seiner Einschätzung nach von mindestens 2.500 Quadratmeter neu geschaffener Fläche.

Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. "Modulares Bauen erfordert zunächst eine zu Ende gebrachte Planung bis ins letzte Detail, spart dann aber bis zu 60 Prozent der Bauzeiten, weil die Fertigung im Werk die Bauzeit vor Ort nicht belastet. Eine Reduzierung von bis zu 27 Prozent, bezogen auf die eingesetzten Ressourcen, ist gegeben. Diese Einsparungen reduzieren natürlich auch den Einsatz von Energie", so Frank Talmon l‘Armée.

"Im Vergleich zum Neubau entstehen bei Bestandssanierungen geringere CO2-Emissionen, da der Rohbau weitergenutzt werden kann. Die Reduzierung des Ener­­gieverbrauchs durch eine verbesserte Wärmedämmung sowie den Einsatz von erneuerbaren Energien ermöglicht darüber hinaus einen energieeffizienten Betrieb des Gebäudes. Das macht die Sanierung wirtschaftlich und aus Gründen der Nachhaltigkeit attraktiv", bestätigt Goldbeck-Produktmanagerin Rütten.

Dank ihres Bausystems, dem elementierten Bauen mit System, sei man auch beim Neubau sehr ressourcenschonend. Wesentliche Bauelemente werden in den eigenen Werken industriell vorgefertigt, "just in time" zur Baustelle geliefert und vor Ort innerhalb kürzester Zeit zu einer schlüsselfertigen Immobilie montiert. Dabei werde ein erheblicher Teil der üblicherweise anfallenden CO2-Emissionen und Ressourcen eingespart.

Wie bei jeder Innovation sind die Kos­­ten der ersten Pilotprojekte höher als die der konventionellen Lösung. Doch das lässt sich minimieren. "Ein wesentlicher Hebel ist das Planen und Bauen aus einer Hand: Eine frühe Beratung und Bedarfs­­­ermittlung mit den Nutzern sind neben sicheren Planungs- und Bauprozessen die wichtigste Grundlage für Termin- und Kos­tensicherheit", so Rütten.

Die erste Energiesprong-Sanierung in Deutschland galt dem Hamelner Quartier Kuckuck. 2019 wurde hier ein Mehrfamilienhaus mit 612 Quadratmeter Wohnfläche seriell nach diesem Prinzip saniert. Das zweistöckige Gebäude aus den 1930er Jahren war in schlechtem baulichen Zustand und stand lange Zeit leer. 2017 kaufte die asargo Gruppe die gesamte Siedlung. Da die Nebenkosten aufgrund eines sozialen Brennpunkts so gering wie möglich ausfallen sollten, entschied das Unternehmen zugunsten des Energiesprong-Prinzips. Nach zwei Jahren war die Sanierung mit vorgefertigten Dach-, Fassaden- und Technikelementen fertig und ein NetZero-Standard erreicht. Die Energieversorgung erfolgt durch Photovoltaik auf dem gesamten Dach und Wärmepumpen mit Wärmespeichern.

Die Mehrkosten können mit einer höheren Energieeffizienz aufgefangen werden. Die Energiesprong-Piloten haben alle einen sehr hohen energetischen Standard erreicht (neben dem NetZero-Standard auch mindestens das Effizienzhausniveau 55, 40 oder 40plus). Somit ist die energetische Qualität dieser Lösungen auch in diesem Bereich schon heute deutlich höher, als dies bei konventionellen Sanierungen in der Regel der Fall ist.

Weniger hochwertige energetische Sanierungen müssten, so die dena, vor 2045 noch ein weiteres Mal angefasst und energetisch ertüchtigt werden. Würde man diese Kosten in die Betrachtung mit einschließen, so müssten für konventionelle Sanierungen auch deutlich höhere Kosten angesetzt werden. Die aktiven Wohnungsunternehmen leisten nach Meinung der dena hier enorm wichtige Pionierarbeit und investieren in eine zukunftsfähige Lösung, mit der sie sich vor gewaltigen Risiken in der Zukunft absichern können. Gleichzeitig profitiert davon die gesamte Branche.

Die WWS Herford verband das serielle Sanieren mit einer Dämmung aus Solarwaben. Vier Mehrfamilienhäuser von 1957 mit 24 Wohnungen auf 1.900 Quadratmetern in der Ulmenstraße wurden so modernisiert. Eine Besonderheit ist die innovative Solarwaben-Dämmung. Sie sorgt dafür, dass der Energiebedarf über die Gebäudehülle um bis zu 90 Prozent reduziert werden kann. Das Prinzip ist simpel: Im Winter dringt das Sonnenlicht durch den niedrigen Sonnenstand tief in die Wabe ein und erzeugt dort ein warmes Luftpolster, das als Dämmung dient. Im Sommer passiert das Gegenteil. Die Energieversorgung erfolgt durch Dach-PV und Erdgas-Brennwerttechnik.

Erfahrungen aus den Niederlanden und Großbritannien haben zudem gezeigt, dass sich durch Weiterentwicklung und Skalierung des Energiesprong-Prinzips Kostensenkungen zwischen 40 und 50 Prozent realisieren lassen. Damit würden sich serielle Sanierungen auch ohne Subventionen am Markt behaupten. Hinzu käme, dass sich Energiesprong-Sanierungen durch Energieeinsparungen, reduzierte Wartungskosten und eine Steigerung des Immobilienwerts im Idealfall kostenneutral umsetzen lassen, was bei konventionellen Sanierungen meist nicht der Fall ist.

Modulares Bauen lässt sich mit Building Information Modeling (BIM) optimieren. "Neben der Bestandsdokumentation verwendet Goldbeck 3D-Laserscanning für die Aufnahme der Gebäudemaße von innen und außen. Die Daten werden anschließend für die digitale Planung aufbereitet und als Planungsgrundlage für ein BIM-Modell verwendet. Dieses wird dann über die Planungsphasen von der Architektur- und Fachplanung fortgeschrieben", so Rütten. Ein BIM-Modell biete eine wichtige Grundlage für alle beteiligten Planungsdisziplinen.

"Modulares Bauen erfordert geradezu die digitale Planung, weil die beste Wirtschaftlichkeit dann gegeben ist, wenn immer die gleiche Plattformtechnologie möglichst mit der gleichen Flächenarithmetik einhergeht. Zu vergleichen ist dies mit der Bodengruppe beim Automobilbau", so Semodu-Vorstand Frank Talmon l‘Armée.

"Ob ein Bestandsgebäude saniert werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, ist: Kann das Gebäude nach der Sanierung die zukünftigen Anforderungen des Nutzers erfüllen? Bestandsgebäude bieten oft eine sehr gute Grundlage für den Wandel in zukünftige Nutzungen, Erweiterungen oder Aufstockungen und können so einen gestiegenen Flächenbedarf abdecken", so Rütten. Darüber hinaus machten zukunftsweisende Arbeitsplatzkonzepte das Arbeiten in Bestandsgebäuden attraktiv. Es gebe daher häufig Projekte, die sowohl aus einer Revitalisierung des Bestands als auch aus der Ergänzung von neuen Gebäuden bestünden. Neben dem Gebäude spielten daher auch Faktoren wie der Standort und die verfügbare Grundstücksfläche eine wesentliche Rolle in der Entscheidungsfindung.

Bild: Hoffotografen/dena Kristina Zimmermann, Teamleiterin Analysen & Gebäudekonzepte, Deutsche Energie-Agentur (dena)

Wie lassen sich serielle Bauweisen für Bestands­­­sanierungen einsetzen?

Mithilfe serieller Sanierungslösungen können Bestandsgebäude deutlich schneller, einfacher und kostengünstiger auf den klimaneutralen NetZero-Standard gebracht werden. Als Fassadenelemente sind sowohl Holz- als auch Glas-Stahlrahmenkonstruktionen denkbar. Die Erzeugung erneuerbarer Energien erfolgt in der Regel über Photovoltaikmodule auf Dächern, Fassaden oder Balkonen. Die Heizenergie wird zumeist mithilfe von Wärmepumpen erzeugt, möglich sind aber auch Infrarotheizungen sowie andere Lösungen.

Welche Vorteile sind damit verbunden?

Da Fassaden-, Dach- und Energiemodule vor Ort nur noch montiert werden müssen, sind die Sanierungsarbeiten schneller abgeschlossen. Erfahrungsgemäß reduziert sich die Bauzeit von vielen Monaten auf wenige Wochen. Forschungsprojekte haben gezeigt, dass die Montage eines 20 Quadratmeter großen Fassadenmoduls mit drei Handwerkern innerhalb einer Stunde möglich ist. Bei der seriellen Sanierung verlagern sich zwischen 50 und 80 Prozent der Arbeiten von der Baustelle in die Werkshalle. Das schafft freie Kapazitäten bei Bauarbeitern und Handwerkern, die somit für andere Sanierungsprojekte eingesetzt werden können. Zudem kann die energetische Sanierung im Idealfall im bewohnten Zustand durchgeführt werden.

Inwieweit spielt dabei digitale Planung, etwa BIM, eine Rolle?

Selbst Gebäude eines bestimmten Bautyps sind im Detail unterschiedlich. Deshalb startet jede serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip mit einem 3D-Laserscanning des zu sanierenden Gebäudes. Aus diesen Daten wird ein genaues BIM-Modell generiert, das die Basis für die digitale Planung bildet. Dieser digitale Zwilling des zu sanierenden Gebäudes ermöglicht es, Fassaden-, Dach- und Haustechnikmodule millimetergenau an das Objekt anzupassen. Darüber hinaus liefert das BIM-Modell alle Daten für die industrielle Vorfertigung in smarten Fabriken. Erst durch BIM wird eine maßgeschneiderte Serienproduktion möglich.

Wann ist serielles Sanieren am gleichen Standort besser als Neubau? Generell lässt sich sagen, dass Abriss und Neubau angesichts der grauen Energie und der Ressourcen, die im Bestand stecken, immer die schlechteste aller Alternativen ist. Man sollte auf die bereits verbaute graue Energie aufbauen. Architects for Future fordern, dass Sanierung immer vor Abriss gehen und das Baurecht durch ein Umbaurecht ergänzt werden sollte. Wenn man sich vor Augen führt, dass weit über 90 Prozent aller Gebäude Bestandsbauten sind, ist dies eine durchaus diskussionswürdige Forderung.

Mehr unter www.energiesprong.de

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 10/2022 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft". Lesen Sie auch die anderen Fachbeiträge dieser Ausgabe diesen Monat exklusiv kostenlos.

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